EcoOnlineLogo Helge Schalk: Rezension zu

Markus Tomberg: Studien zur Bedeutung des Symbolbegriffs. Platon, Aristoteles, Kant, Schelling, Cassirer, Mead, Ricoeur. Würzburg: Königshausen & Neumann 2001. ISBN 3-8260-1991-1. 153 Seiten. DM 44,86.

Aus: Journal Phänomenologie 16 (2001).

Tombergs Studie zum Symbolbegriff - der erste, separat veröffentlichte Teil der theologischen Dissertation des Autors - beschreitet eine schwierige Grenzlinie zwischen philosophischem und theologischem Diskurs. So gehört zu den Zielsetzungen der Arbeit nicht nur eine Klärung des genuin philosophischen Terminus "Symbol" und seiner Bedeutung für den philosophischen Diskurs, sondern auch und ebenfalls schwerpunktmäßig ein systematisch-theologisches Interesse, das die These setzt, der Gegenstand des Glaubens sei stets nur symbolisch vermittelt. Stoßen wir hier bereits auf eine methodische Anfangsproblematik? Ist hier ein theologisches Begriffsverständnis von "Symbol" gesetzt, das die nachfolgenden Analysen u. U. leitet? Sollen hier gar ein philosophisches und ein theologisches Begriffsverständnis abgerundet oder zusammengeführt werden? Hierüber geben die knappen methodischen Vorbemerkungen zu Etymologie, Begriffsgeschichte, Übersetzungsproblematik, Hermeneutik und philosophischer Terminologie leider keinen Aufschluss. Und auch Formulierungen wie "Symbol verweist auf Bedeutetes (sic!), das bereits in einer hermeneutischen Differenz zum Sagbaren steht", lassen erkennen, dass der Autor mindestens eine umfassend zeichentheoretische Analyse ausblendet und allererst auf das Symbol als sprachliches Phänomen abzielt. Diese Verengung der Untersuchung hat ihre Ursache wohl in der Vernachlässigung des semiotischen Diskurses. Noch mehr aber: In Aussagen wie der genannten wird ein Vorverständnis von "Symbol" zum Ausdruck gebracht, das einer nüchternen Bestandsaufnahme methodisch entgegen steht.

 
Tomberg geht zunächst weitgehend begriffsgeschichtlich vor und sucht die philosophischen Ursprünge des Begriffs bei Platon und Aristoteles auf. Über Kant und Schelling nimmt die Studie Blick auf die Moderne: Analysen zu Cassirer, Mead und Ricoeur folgen. Hier nur exemplarisch ein Blick auf Cassirer, da in der Philosophie der symbolischen Formen einerseits kantisches Denken, andererseits ein über Sprache im engeren Sinne hinaus führender semiotischer, im Ansatz bereits diskurstheoretischer Ansatz kulminieren. Die Untersuchung lehnt sich sinnvollerweise an die Position Kants und an Cassirers die Vernunftkritik in eine "Kritik der Kultur" transformierende Symboltheorie an. Hier liest man einiges Bekanntes, was allerdings hilfreich ist, um den cassirerschen Symbolbegriff im Kontext in den Blick zu bekommen. Was ist nun mit dieser Transformationsleistung gemeint? Tomberg bestimmt Cassirers Symboltheorie darin treffend, dass sie "neben der Erkenntnis alternative Gestaltungsmuster" als wirklichkeitsbestimmende Faktoren ausmacht (S. 90). Dies sind eben jene symbolischen Formen, etwa Kunst, Sprache, Religion, Mythos. Und auch die Rücknahme der Differenz von Anschauung und Begriff wird erläutert. Mit Recht als herausragende Leistung Cassirers ist die Synthese aus dem Was und dem Wie der Erfahrung durch symbolische Vermittlung, durch kulturelle Interpretationsmuster hier anzuführen. Nun bleibt Tomberg allerdings keinesfalls bei seinem Thema, sondern verbreitet sich über Cassirers Neufassung der kritischen Philosopohie, stellt im Sinne einer Einführung in den Autor Differenzen zu Kant ausführlich dar - vom Symbol ist da seitenlang nicht mehr die Rede. So führt Tomberg wohl, manchmal wie in einer kommentierten Werkübersicht, durch die Gedankenwelt Cassirers, spitzt seine Untersuchungen aber nicht eigentlich auf die Thematik des Buches zu. Und darin zeigt sich auch wiederum das Dilemma des Gesamtwerks: Fruchtbarer eben als diese in einzelne Autoren und Positionen eindringenden Analysen wäre eine systematische Zusammenschau gewesen. Was Cassirer unter "Symbol" versteht, und welche Bedeutung der Begriff für die philosophische Theoriearchitektur der Philosophie der symbolischen Formen hat, wäre auf wenigen, ja auf einer Seite zu klären. Streicht man dann noch bereits Erforschtes aus, kann man nochmals straffen und, wichtiger noch: fokussieren. Es scheint, als hätte der Autor aber eine andere Intention: sich in jede einzelne Position hinein zu denken, sie erschöpfend darzulegen. Dies ist für die Leser/innen ermüdend, zumal wie gesagt Bekanntes hier keineswegs vorausgesetzt wird. Dieses Verfahren wiederholt sich dann bei den anderen Untersuchungsschwerpunkten. Was Mead geschrieben hat, wieso sein Werk schwer zugänglich ist, welches sein Hauptinteresse war - gut und schön, aber dies tut für die Symboltheorie überhaupt nichts zur Sache und ist dem bereits beklagten Verzicht auf eine Zentralthese oder eine Zielsetzung geschuldet.

 
Abgerundet wird die Untersuchung durch ein Fazit, das zunächst durch weitere - knappe - begriffsgeschichtliche Funde überrascht. Diese hätten nun wirklich an den Anfang des Buchs gestellt werden sollen, im Sinne einer vorgreifenden Begriffsklärung. Und schließlich überrascht dieses Fazit durch den Befund, die untersuchten Positionen insgesamt trügen nichts zu einer - wohl vom Autor gewünschten und letztlich vermissten - "konsistenten Theorie des Symbols" bei (S. 144).

 
Tombergs Studie darf keineswegs als umfassende Synopse oder Abrundung verstanden werden. Vielmehr werden Schlaglichter auf einzelne Positionen und Personen geworfen, die freilich z. T. recht unverbunden nebeneinander stehen. Der Ausflug in Meads symbolischen Interaktionismus erscheint weder zwingend, noch ist er in sein intellektuelles Umfeld eingebettet. Kein Wort vom amerikanischen Pragmatismus - d. h. nur am Rande in langer Fußnote, nicht allerdings um theoretische Bezüge herzustellen, sondern um mit Meads Denken insgesamt vertraut zu machen -, kein Wort zum Symbol bei Peirce oder Morris, die doch die zeichentheoretischen Grundlagen für den Sozialbehaviorismus gelegt haben. Kein Wort überhaupt von der Bedeutung des Begriffs für die moderne Semiotik, etwa von der berühmten Trias icon, index, symbol. So bleibt insgesamt die zeichen- und sprachtheoretische Tiefe des Symbolbegriffs unausgelotet. Diesen starken Vorwurf handelt sich der Autor allerdings selbstverschuldet ein. Denn eine klare These oder Zielsetzung hätten der Arbeit einen deutlicheren Zuschnitt geben und Randbezirke zu Recht ausblenden können. Etwa durch die Fixierung auf den genuin theologischen Begriffsgehalt von "Symbol". Da dies aber unterlassen wurde, erwarten die Leser/innen Leser eben jene Synopse, die das Buch nicht leisten kann.

 
Auch fehlen am Schluss eine Sammlung und Systematisierung der Ergebnisse, die in den Einzelstudien ja zahlreich zusammengetragen werden. So liegt der Gewinn für die Leser/innen hauptsächlich in den Studien zu den einzelnen Autoren, die je nach Gusto von größerem oder geringerem Interesse sein mögen. Und hier finden sich tatsächlich verstreute Systematisierungsversuche. So etwa im Anschluss an die Untersuchung zu Schelling: "Allen bisher behandelten Theorien ist gemeinsam, daß sie den Symbolbegriff operativ einsetzen, um ein unfaßliches Phänomen mit den Mitteln begrifflichen Denkens zu fixieren." (S. 88) Zwar hätte es für dieses Ergebnis keiner ausgreifenden Einzeluntersuchungen bedurft, aber immerhin darf man eine Sammlung der Ergebnisse bei solcher Anlage des Buchs auffindbar am Schluss erwarten.

   

 
Was die im Fazit geforderte "konsistente Theorie des Symbols" schließlich sein soll, bleibt offen. Sollte dies ein Begriffsverständnis sein, das die unterschiedlichen Positionen umfasst und eine Systematisierung erlaubt? Dies kann angesichts disparater philosophischer Diskurse und zahlreicher Fundstellen wohl kaum erwartet werden. Hier wäre es m. E. die Aufgabe des Autors gewesen, Begriffsbedeutungen in unterschiedlichen Diskursbereichen auszudifferenzieren und gegenüberzustellen. Die Bedeutung des Symbolbegriffs in Sprach- und Zeichentheorie hätte doch allemal klar herausgearbeitet werden können, zumal es sich beim Symbol doch um einen semiotischen Zentralbegriff handelt. Auch für die Literaturtheorie hätte sich ein deutlicher Befund ergeben können, genau wie für die Theologie. Diese Systematisierungschancen - und eine Systematisierungsleistung darf angesichts des Buchtitels wohl erwartet werden - vergibt der Autor leider. Tröstlich ist, dass Tombergs Studie nicht über Gebühr enttäuscht, was allerdings daran liegt, dass sie einleitend auch nicht mehr verspricht als der Buchtitel: unsystematisch verbundene Einzelstudien zum Symbol(begriff).