Burkhart Kroeber

ECO ÜBERSETZEN -
Erfahrungen in zwanzig Jahren

Vortrag zur Eröffnung der 4. Bad-Württ. Übersetzertage am 14. Juli 2003 in Schwäbisch Hall

Burkhart Kroeber

 

     

Meine übersetzerische Erfahrung mit Umberto Eco begann im Herbst 1980, also vor bald 23 Jahren. Das erste Buch, das ich von ihm übersetzt habe, war Der Name der Rose. Es war zugleich mein erster Roman. Davor hatte ich zwar schon fast zehn Jahre lang aus mehreren Sprachen übersetzt, aber keine erzählende Literatur, sondern nur sog. "Sachbücher": politische, kultur- und zeitkritische Studien, literaturtheoretische und semiotische Monographien, soziologisch-philosophische Essays (z. B. die Kritik des Alltagslebens von Henri Lefebvre, politische Schriften von Rossana Rossanda, das Kafka-Buch von Deleuze und Guattari). Vielleicht hat mir diese Erfahrung geholfen, bestimmte theoretische Diskurse in Der Name der Rose zu übersetzen, aber der Grund, weshalb ich es damals wagte, die Übersetzung eines Romans von solchem Kaliber in Angriff zu nehmen, war ein ganz anderer: Ich hatte eine unbezähmbare Lust, ein fast sinnliches Verlangen danach, es zu tun. Psychologen sehen darin wohl einen Aneignungswunsch, und ich kann es nicht leugnen: ich wollte mir dieses Buch zu eigen machen.

Wie kam es dazu? Ich war damals Lektor im Hanser Verlag, aber nicht zuständig für Belletristik, sondern für das Sachbuchprogramm. Allerdings war ich der einzige im Hause, der italienische Bücher begutachten konnte, und so wurde ich der erste Leser von Ecos Debütroman, als dieser im Sommer 1980 ins Haus kam (in Form von unkorrigierten Umbruchfahnen, zusammengeklebt zu einer großformatigen Broschüre, die der italienische Originalverlag gleichzeitig an eine ganze Reihe deutscher Verlage geschickt hatte), und als ich das 500-Seiten-Opus gelesen hatte - oder besser, noch während ich es las -, war ich davon so angetan, daß ich beschloß, alles zu tun, um sein Übersetzer zu werden (auch weil ich fürchtete, daß ich andernfalls womöglich - wie schon mehrmals geschehen - eine mißlungene Übersetzung in entsagungsvoller Nachtarbeit würde reparieren, sprich: neu schreiben müssen). Voraussetzung war allerdings, daß Hanser die deutschen Rechte bekam, denn nur bei Hanser hatte ich Chancen, als Neuling im Roman-Übersetzen akzeptiert zu werden, und so mußte ich erst einmal durch geduldiges Verhandeln mit dem Originalverlag meinen Teil dazu beitragen, daß Hanser siegreich aus dem Tauziehen um die deutschen Rechte hervorging. Nachdem dies trotz mancher Hindernisse schließlich gelungen war (Mitbewerber war immerhin kein geringerer als der Suhrkamp Verlag, dem sich Eco verpflichtet fühlte), bekam ich ohne Schwierigkeiten den Übersetzungsvertrag ("na gut", sagte mein damaliger Chef nur, "wenn Sie sich das zutrauen, Sie kennen ja unsere Konditionen"), und so machte ich mich unverzüglich an die Arbeit - senz’altro, wie die Italiener sagen, das heißt ohne Umstände, ohne weitere vorbereitende Studien.

Wenn ich heute daran zurückdenke, mit der inzwischen gewonnenen Erfahrung, kommt mir das Ganze wie ein gewagtes Spiel vor, das sehr leicht hätte schiefgehen können. Auf jeden Fall war es eine riskante Wette: Ich war nicht einschlägig akademisch vorbereitet, ich hatte weder Italianistik noch Mediävistik noch Allgemeine Literaturwissenschaft oder dergleichen studiert (meine Studienfächer waren Ägyptologie und ein bißchen Romanistik gewesen), meine Kenntnis des gesprochenen Italienisch war eher begrenzt und auch die des geschriebenen ließ in mancher Hinsicht zu wünschen übrig, ich hatte keinerlei Erfahrung im Übersetzen narrativer Texte, nur eine große Lust dazu und wohl auch ein gewisses Gottvertrauen...

Was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, daß die Begegnung mit Ecos erstem Roman mein Leben ziemlich verändert hat, und das nicht nur auf dem Gebiet der Ideen oder Ideale: Ein halbes Jahr später gab ich meine Stelle als Lektor bei Hanser auf (eine sehr begehrte Stelle, nach der ich während der siebziger Jahre lange gestrebt hatte), um wieder freier Übersetzer zu werden, ich setzte alles auf die Karte des "unabhängigen Literaturarbeiters", und ich hatte Glück: Der Erfolg meiner ersten Eco-Übersetzung (freilich enorm begünstigt durch den völlig unerwarteten Riesenerfolg des Buches als solchem) ermutigte mich, auch andere italienische Autoren zu übersetzen, vor allem Italo Calvino, dem ich seit seinem einzigartigen Roman Wenn ein Reisender in einer Winternacht treu geblieben bin, dann auch mehrere Bücher von Fruttero & Lucentini und schließlich sogar den 1000 Seiten starken Haupt-und-Leit-Roman der italienischen Neuzeit, Alessandro Manzonis Promessi Sposi (früher "Die Verlobten", bei mir jetzt "Die Brautleute"), und so kann ich alles in allem sagen, daß der Gewinn, den mir jene erste riskante Wette eingebracht hat, in jeder Hinsicht enorm war.

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Inzwischen habe ich ein gutes Dutzend weiterer Bücher von Eco übersetzt - außer den drei anderen Romanen auch Essays, Reportagen, Glossen, Parodien und Travestien, sprach- und ideengeschichtliche Aufsätze, literaturtheoretische Vorlesungen -, und dabei hatte ich in den ganzen Jahren so gut wie nie das Gefühl, etwas tun zu müssen, was mir inhaltlich oder in seiner allgemeinen Zielrichtung widerstrebte. Mit anderen Worten, ich konnte dem geistigen Weg meines Autors ohne Schwierigkeiten und ohne mich irgendwie verrenken zu müssen über zwanzig Jahre lang folgen - ein, wie mir scheint, durchaus bemerkenswerter Umstand in unserer Zeit der großen politisch-ideologischen, ästhetischen und moralischen Um- und Neuorientierungen.

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Dies vorausgeschickt, möchte ich nun ein paar Bemerkungen über die stilistischen Unterschiede zwischen den vier Romanen Ecos machen, wie sie sich aus der Sicht des Übersetzers darstellen. Generell kann ich sagen, daß bei den drei ersten, also von Der Name der Rose über das Foucaultsche Pendel bis zur Insel des vorigen Tages, meine Aufgabe von Buch zu Buch immer schwieriger wurde. In Der Name der Rose war die Sprache noch relativ homogen: Es genügte, einen Ton zu finden, der irgendwie an den Stil mittelalterlicher Chroniken erinnerte, beziehungsweise - da das Deutsch des 14. Jahrhunderts (also das späte Mittelhochdeutsch) anders als das zeitgleiche Italienisch für den normalen heutigen Leser völlig unverständlich ist, während der gebildete Italiener heute noch Dante versteht -, es genügte, eine traditionelle und auf ironische Art "altmodisch" klingende Erzählweise zu finden, wie sie zum Beispiel sehr gut in Thomas Manns Joseph und seine Brüder zu studieren ist. Ganz ähnlich sind übrigens auch, wie ich später erfuhr, meine Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern vorgegangen, als sie den Namen der Rose ins Englische, Französische, Spanische, Schwedische, Russische, Ungarische und noch viele andere Sprachen übersetzten.

Im Foucaultschen Pendel gibt es dagegen eine Vielzahl von Stilen und Sprechweisen auf der Basis des heutigen modernen Italienisch, einen ständigen Wechsel der Tonlage, je nachdem, wer gerade spricht und in welcher Situation er oder sie sich befindet, und das erfordert vom Übersetzer eine regelrechte sprachliche Inszenierung: Er muß wie ein Regisseur entscheiden, wie er die verschiedenen Personen sprechen lassen soll - den Oberst Ardenti, den undurchsichtigen Signor Agliè oder Belbos Freundin Lorenza usw., im Unterschied zum Ich-Erzähler Casaubon, zu Belbo und zu Diotallevi, ganz zu schweigen von Belbos Stilübungen in seinen Computer-Files, die von der autobiographischen Jugenderinnerung bis zur Parodie des "gotischen" Schauerromans, vom nacherzählten Traum bis zur philosophischen Reflexion über Sein und Dasein reichen.

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In Ecos drittem Roman, Die Insel des vorigen Tages, wird diese stilistische Vielfalt noch vermehrt und verdoppelt durch den Umstand, daß hier, anders als im Foucaultschen Pendel, viele Seiten "in barocco" geschrieben sind, wie der Autor selbst sagt. Mit anderen Worten, die Sprache spielt hier eine viel wichtigere Rolle als in den beiden vorangegangenen Romanen, eine Rolle, die sich bisweilen geradezu der des Protagonisten nähert (so zum Beispiel in Robertos Briefen an seine Signora, die eine sehr dichte Collage der Liebesbriefe von Cyrano de Bergerac sind). Es wiederholte sich hier also ein Problem, das ich in weniger gravierendem Maß bereits hatte, als ich entscheiden mußte, in was für eine Sprache ich den Namen der Rose übersetzen sollte: Der Unterschied zwischen barockem Deutsch und modernem Deutsch ist sehr viel größer als der zwischen barockem Italienisch und modernem Italienisch, er zeigt sich nicht nur im Wortschatz und in der Orthographie, sondern viel stärker als im Italienischen auch in der Syntax. Infolgedessen wirkt imitiertes Barockdeutsch im heutigen Kontext fast immer komisch, burlesk oder parodistisch. Es wäre sehr schwierig, eine Imitation des barocken Deutsch z.B. für einen Diskurs zu verwenden, der von Melancholie und Traurigkeit und womöglich von Todesahnung geprägt sein soll. Daher habe ich mich entschieden, die Zitate aus Robertos Briefen nicht in ein "echtes" Barockdeutsch zu übersetzen, sondern in das gleiche Deutsch, in das die echten Briefe von Cyrano de Bergerac übersetzt worden sind (und viele andere Texte der Barockzeit, zum Beispiel das Handorakel von Baltasar Gracián, wie Arthur Schopenhauer es übersetzt hat), d.h. in ein modernes Deutsch, das sich bemüht, die Pointen und Sinnfiguren - die barocken concetti - möglichst treffend wiederzugeben, aber das darauf verzichtet, die syntaktischen und morphologischen Besonderheiten des Barockdeutschen zu imitieren.

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Somit könnte man sagen, daß zu den intertextuellen Bezügen des dritten Romans von Eco, eingefügt durch die deutsche Übersetzung, auch Schopenhauer gehört, der darin mit seiner Übersetzung einiger Maximen von Gracián präsent ist und vor allem mit seiner Entscheidung, das Wort prudencia in Graciáns Titel Oràculo manual y arte de prudencia nicht einfach mit Klugheit, sondern mit Weltklugheit zu übersetzen, was ich natürlich übernommen habe. (In gleicher Weise und in derselben Logik könnte man sagen, daß zu den intertextuellen Bezügen des zweiten Romans von Eco, eingefügt durch die Übersetzung, auch Uwe Johnson gehört, der darin mit dem Titel einer testamentarischen Verfügung präsent ist, die nach seinem Tod auf seinem Schreibtisch gefunden wurde: "Für wenn ich tot bin" hatte er sie überschrieben,
eine grammatikalisch "unkorrekte", aber sehr schöne Wendung, die ich Belbo in den Mund gelegt habe, als er in Kap. 55 den Freunden erklärt, nachdem sie in jenem piemontesischen Landhaus angekommen sind, das er sein "Donnafugata" nennt, was sich in dem großen Wandschrank im Zimmer von Onkel Carlo befindet: "Ecco, quando sarò morto, ricordate, lì c’è tutta la mia produzione letteraria giovanile...", sagt er bei Eco - und bei mir: "Da drinnen, merkt euch das, für wenn ich tot bin, da drinnen ist meine ganze literarische Produktion aus der Jugendzeit...").

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Bei weitem am schwersten zu übersetzen - das haben mir auch alle ausländischen Kollegen bestätigt - war Ecos dritter Roman, Die Insel des vorigen Tages. Lassen Sie mich das am Beispiel eines einzigen Wortes, das gleich im ersten Satz steht, pars pro toto erläutern. Nach einem quasi als Motto vorangestellten Zitat aus Robertos Briefen an seine Signora folgt gleichsam als Quellenangabe: "Così, con impenitente concettosità, Roberto de la Grive, presumibilmente tra il luglio e l’agosto del milleseicentoquarantatre." Zu deutsch: "So, mit unverbesserlicher concettosità, Roberto de La Grive, vermutlich im Juli oder August 1643." Das Wort concettosità ist für Kenner der barocken Literaturgeschichte ein Schlüsselwort und bedeutet soviel wie "Reichhaltigkeit an concetti". Unter concetti versteht man in der Fachliteratur jene besonders geistreichen, gut formulierten poetischen Formeln, die einen bestimmten Gedanken so zugespitzt und markant ausdrücken, daß man sie geradezu als "Gedankenbilder" oder "Sinnfiguren" bezeichnet hat. Im Deutschen wird der Begriff concetto in diesem Sinne meist beibehalten (früher wurde er auch mit dem Fachwort "Konzetto" wiedergegeben), im Englischen gibt es dafür den Terminus conceit. Ein Beispiel: wenn Shakespeare seinen Romeo sagen läßt:

Nun dann: liebreicher Haß! Streitsücht’ge Liebe! [...]
Schwermüt’ger Leichtsinn! Ernste Tändelei, [...]
Bleischwinge! Lichter Rauch und kalte Glut!
Stets wacher Schlaf! Dein eignes Widerspiel!
So fühl ich Lieb’ und hasse, was ich fühl!

dann ist das eine ganze Serie von concetti über das Gegensatzpaar Liebe und Haß, die jedesmal einen Widerspruch in sich selbst ausdrücken ("Bleischwinge", "lichter Rauch", "kalte Glut", im Orig. feather of lead, bright smoke, cold fire). Ein typischer deutscher concetto wäre der folgende Zweizeiler aus dem Cherubinischen Wandersmann von Angelus Silesius, der am Ende von Der Name der Rose anzitiert wird:

Gott ist ein lauter Nichts, ihn rührt kein Nun noch Hier;
Je mehr du nach ihm greifst, je mehr entwird er dir.

Die im ersten Satz der Insel des vorigen Tages angesprochene concettosità bedeutet nun, wie gesagt, "Reichtum an concetti". Eine "unverbesserliche concettosità" wäre also so etwas wie ein von concetti strotzender Stil. In den Wörterbüchern findet man für concettosità neben den blassen Vokabeln "Gedankenreichtum, Gedankenfülle" nur den pejorativen Ausdruck "Überspitztheit". Den konnte ich aber hier nicht gut nehmen, eben weil er pejorativ ist - die Formel "mit unverbesserlicher Überspitztheit" hätte sonst gleich zu Beginn ein negatives Urteil über den Briefstil des Protagonisten ausgedrückt, eine Abwertung seines manieristisch-barocken Stils, wie sie typisch für die spätere Klassik war und hier gerade nicht gemeint ist (im Gegenteil: Eco wollte mit seinem Roman eher eine Aufwertung des Barockstils betreiben).

Ich war schon beinahe entschlossen, das Lehnwort "Pointiertheit" zu nehmen, das wäre als Wiedergabe von concettosità gerade noch gegangen. Aber als ich dann mit Eco über das Problem sprach und ihm voraussagte, daß der Roman wegen seiner manieristischen Passagen von etlichen deutschen Lesern (und Kritikern) abgelehnt werden würde, da hatte er selbst die brillante Idee, sozusagen den Stier bei den Hörnern zu packen und in der deutschen Ausgabe den speziellen Fachausdruck concettosità durch den allgemeineren Dachbegriff manierismo zu ersetzen, und so konnte ich nun schreiben: "So, in unverbesserlichem Manierismus, Roberto de la Grive im Juli oder August 1643." Damit war der Leser gleich im ersten Satz des Romans gewarnt: Wenn er den Manierismus nicht mochte, konnte er das Buch gleich weglegen.

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Ein reizvolles Problem bei der Übersetzung dieses Romans war die angemessene Ver-deutschung der Reden von Pater Caspar, jenes kauzigen alten Ordensmannes, der als ein universal gebildeter deutscher Jesuitenpater eingeführt wird. Im Original spricht dieser Pater, den Eco nach dem Modell der großen Gelehrten Athanasius Kircher und Kaspar Schott gestaltet und dem er den Namen Caspar Wanderdrossel gegeben hat, ein drolliges Deutsch-Italienisch oder "Tedesco maccaronico" (womit Eco an eine alte Tradition der italienischen satirischen Literatur anknüpft): ein grammatikalisch nicht unkorrektes Italienisch, aber mit deutscher Wortstellung, also mit den Verben am Satzende und Pronomina vor den Verben, dazu hin und wieder eingestreute deutsche Vokabeln oder Ausrufe. "Tale bestialità ho io mai udito" (Solche Bestialität habe ich noch nie gehört), sagt der Pater als erstes, nachdem er die krause Geschichte des Engländers Dr. Byrd gehört hat. "Perché facevano essi a lui quel male?" (Warum haben sie ihm dieses Übel getan?), und etwas später: "Noi stiamo di fronte al più grande prodigio di tutta la humana e sacra historia, che tu non ancora capire puoi!" Eine wörtliche Übersetzung dieser Reden hätte ein ganz normales Deutsch ergeben ("Wir stehen vor dem größten Wunder der ganzen menschlichen und heiligen Geschichte, das du noch nicht verstehen kannst"). Mit einer solchen Übersetzung hätte ich der Figur eine charakteristische Eigenschaft genommen und den Witz unterschlagen, was auch schon deswegen nicht in Frage kam, weil die Sprache des Paters in einigen Dialogen auf die Sprache Robertos abfärbt, z.B. in dieser Passage: "'E allora prova tu a pensare cosa tu farebbe se tu eri Dio.' [sagt der Pater zu Roberto; dann geht es weiter:] Roberto era preso dal gioco: 'Se io ero Dio,' disse, dato che ritengo non riuscisse più a coniugare i verbi come il Dio degli italiani comanda, 'io creavo nuova acqua.'" (Ich übersetze das gleich.) Oder auch in kurzen Einwürfen wie diesem: "'Wunderbar', approvava xenoglotta Roberto. 'E adesso?'"

Es galt also, für die Figur des Paters Caspar eine charakteristische Sprache zu finden, die solche Spielereien erlaubte. Eco hatte seinen Übersetzern zu dem Problem nur lakonisch geschrieben: "In ciascuna lingua si può costruire la sintassi tedesca di padre Caspar. Per il traduttore tedesco, cavoli suoi" (In jeder Sprache kann man die deutsche Syntax Pater Caspars nachbilden. Für den deutschen Übersetzer - sein Problem). Eine Zeitlang hatte ich daran gedacht, den Pater irgendwie zu "regionalisieren", also ihm eine Dialektfärbung zu geben, einen fränkischen, bayerischen oder vielleicht auch böhmischen Tonfall. Aber so etwas geht in der Regel schief, man muß es schon sehr gut können, damit es nicht am Ende bloß peinlich wirkt, und selbst wenn es sprachtechnisch gelingt, ist es erzähltechnisch oft nur sehr fadenscheinig begründet. Man bedenke außerdem: Pater Caspar Wanderdrossel stammt zwar wie sein historisches Vorbild Kaspar Schott (von dem er auch den schönen lateinischen Titel geerbt hat, mit dem er zu Beginn des 21. Kapitels vorgestellt wird) aus Würzburg und hätte mithin einen fränkischen Tonfall haben können, aber das Fränkische kann ich nicht imitieren, und selbst wenn ich es gekonnt hätte, wäre es einem beträchtlichen Teil der deutschen Leser fremd vorgekommen, da es - anders als z. B. das Bayerische - nicht zu den "großen" Dialekten gehört, die überall in Deutschland einigermaßen bekannt sind. So kam ich schließlich auf die Idee, den Pater nicht geographisch, sondern historisch zu regionalisieren, sprich: ihn ein (parodiertes) Barockdeutsch sprechen zu lassen, dessen barocker Charakter in einigen altdeutschen Wendungen und Latinismen zum Ausdruck kommen sollte, vor allem jedoch in der Orthographie ("sey" statt "sei", "würcklich" statt "wirklich" usw.). Eine Idee, die mir auch deswegen gut schien, weil damit das Problem nicht auf eine "realistische", sondern auf eine künstliche, artifizielle Weise gelöst würde, die dem ästhetischen Grundansatz dieses alles andere als "realistisch" angelegten Romans sehr gut entsprach (sozusagen ein barocker concetto).

Ich las also ein paar Tage im Simplicissimus von Grimmelshausen, um mich zu inspirieren,
und begann, für Pater Caspar eine Sprache zu erfinden, mit der sich gebührend spielen ließ. So ergaben sich schließlich auch Lösungen für die oben zitierten Fälle, in denen die Sprache des Paters auf Robertos Sprache "abfärbt" - also für das "E allora prova tu a pensare cosa tu farebbe se tu eri Dio" usw. bis "io creavo nuova acqua", was ich übersetzt habe: "'Also versuch du einmal zu dencken, was du würdest thun, wann du wärest Gott.' Roberto erwärmte sich für das Spiel. 'Wann ich wär Gott', sagte er [und hier müßte es jetzt in wörtlicher Übersetzung heißen: "denn ich nehme an, daß es ihm nicht mehr gelang, die Verben so zu konjugieren, wie es der Gott der Italiener befiehlt", aber das wäre sinnlos, denn es geht hier ja nicht mehr um die korrekte Form des italienischen Konditionalis, und so habe ich statt dessen in Parenthese geschrieben:] (denn ich nehme an, daß Pater Caspars eigenwillige Sprache allmählich auf ihn abzufärben begann), 'erschüfe ich mir ein neues Wasser.'" Oder das andere Beispiel: "'Wunderbar,' approvava xenoglotta Roberto. 'E adesso?'" - zu deutsch nun: "'Wunderbar', sagte Roberto. 'Und jetzo?'".

Natürlich machte ich bei dieser Arbeit die Erfahrung, daß man zunächst immer zuviel des Guten tut: In meiner ersten Fassung sprach Pater Caspar ein ziemlich wüstes Barockdeutsch, dem ich erst in mehreren Überarbeitungen das Übermaß an y und auslautendem e in den Verben der 3. Pers. Sing. wieder genommen habe. Kurios war dann, daß ausgerechnet an der einzigen Stelle, wo ich eine Rede des Paters gar nicht zu verdeutschen, sondern nur aus ihrer authentischen deutschen Quelle abzuschreiben brauchte, aus der sie Eco nämlich ins Italienische übersetzt hatte - ein Zitat aus den Frauenzimmer-Gesprächspielen von Georg Philipp Harsdörffer (1641), in dem es um die angebliche Natürlichkeit der "teutschen Sprach" geht, von der es dort heißt, sie "redet mit der Zungen der Natur, indem sie alles Getön und was nur einen Laut, Hall oder Schall von sich giebet, wol vernehmlich ausdrukket", denn sie "donnert mit dem Himmel, blitzet mit den schnellen Wolken, stralet mit dem Hagel, sauset mit den Winden, brauset mit den Wellen, brüllet wie der Löw, plerret wie der Ochs, brummet wie der Beer, beeket wie der Hirsch, blecket wie das Schaf, gruntzet wie das Schwein, muffet wie der Hund, rintschet wie das Pferd, zischet wie die Schlange, mauet wie die Katz, schnattert wie die Gans, qwaket wie die Ente, summet wie die Hummel, gacket wie das Huhn, klappert wie der Storch, kracket wie der Rab, schwieret wie die Schwalbe, silket wie der Sperling" usw. usf. - kurios war, daß ausgerechnet an dieser einzigen authentisch barocken Stelle die Richtigkeit meiner Übersetzung in einer Kritik der Süddeutschen Zeitung bezweifelt wurde.

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Nach den extremen Schwierigkeiten der "barocken" Passagen in der Insel des vorigen Tages war die Übersetzung von Baudolino fast eine Erholung. Abgesehen vom ersten Kapitel, der angeblich "authentischen" Schreibübung des vierzehnjährigen Baudolino mit seiner drolligen Sprache, einer Rekonstruktion der piemontesischen Mundart, wie sie im 12. Jahrhundert geklungen haben mochte, ist Ecos vierter Roman über weite Strecken in einem normalen modernen, fast umgangssprachlichen Italienisch geschrieben, d.h. in einer schlichten, klaren und schnörkellosen Sprache, unrhetorisch und nahe dem mündlichen Sprechen. Vorherrschend ist ein gewollter und gut beherrschter "niederer Stil" (der von manchen nichtitalienischen Italianisten in unseren Feuilletons als schlechter Stil oder gar Mangel an Stil mißverstanden worden ist - vielleicht weil sie glauben, gutes Italienisch müsse zwangsläufig rhetorisch verschnörkelt sein). Allenfalls war das Problem, ein angemessenes deutsches Äquivalent für diesen "niederen Stil" zu finden, das heißt auf zu literarische Ausdrücke zu verzichten und mich zu zwingen, alles in einer möglichst ungekünstelten Sprache zu sagen - aber das hatte ich schon bei anderen Texten von Eco gehabt, vor allem beim Übersetzen seiner Bustine di Minerva (bei uns als "Streichholzbriefe" bekannt), die ebenfalls in einem schlichten, fast umgangssprachlichen Italienisch geschrieben sind, ohne daß man deswegen sagen könnte, sie hätten keinen Stil.

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Beim ersten Kapitel von Baudolino - das strenggenommen unübersetzbar ist und somit für Übersetzer eine schöne Herausforderung darstellt - mußte ich einen Kompromiß machen. Es war nicht möglich, die Vorgehensweise des Autors zu imitieren, also ein Mittelhochdeutsch des 12. Jahrhunderts zu verwenden oder zu rekonstruieren, denn selbst wenn ich dazu in der Lage gewesen wäre, hätte die weit überwiegende Mehrheit der Leser so gut wie nichts verstanden. Zu groß ist der Unterschied zwischen dem Mittelhochdeutsch etwa des Parzival von Wolfram von Eschenbach und dem modernen Deutsch - man könnte sagen: fast so groß wie der Unterschied zwischen Latein und heutigem Italienisch. Einen populär angelegten Schelmenroman wie Baudolino mit einem ganzen Kapitel in einer Sprache zu beginnen, die man, wenn überhaupt, nur mit Mühe versteht, hätte geheißen, das ganze Unternehmen zu verpatzen: Nach zwei bis drei Seiten hätten normale Leser das Buch resigniert beiseitegelegt, und auch einschlägig vorgebildete wären nicht amüsiert. Ich mußte also eine andere Lösung finden.

Nach diversen anderen Versuchen habe ich schließlich einen zweifachen Kompromiß gemacht: erstens zwischen der Fiktion eines "authentischen" Textes des jungen Baudolino und meiner Rolle als Übersetzer, der diesen Text in einer entsprechenden Art von Deutsch nachbildet, und zweitens in der Wahl dieser Art von Deutsch. Das heißt, ich bin so vorgegangen, wie es in Filmen oder Radiosendungen gemacht wird, wenn man jemanden präsentiert, der in einer fremden Sprache spricht und im Original zu Gehör gebracht werden soll: Man beginnt damit, ihn ein paar Sätze im Original sprechen zu lassen, und dann blendet man langsam die Stimme des Übersetzers darüber. So habe ich die ersten Zeilen des Originals einfach abgeschrieben, wie sie bei Eco stehen, unter Verwendung einer speziellen Schrifttype, die ein bißchen an die krakelige Handschrift des jungen Baudolino erinnert, dann habe ich eine Reihe von Pünktchen gesetzt, die ein Ausblenden suggerieren, und dann noch einmal das Ganze von vorn begonnen, diesmal mit einer Übersetzung des Textes in ein von mir erfundenes Deutsch, das eher barocken als mittelhochdeutschen Mustern folgt, mit dialektalen Einsprengseln, vorwiegend aus dem Bayerischen, und geschrieben mit einer irgendwie mittelhochdeutsch anmutenden Orthographie, das heißt mit vielen Zirkumflexen auf den langen Vokalen â, ê, î, was ein bißchen denselben Effekt hat wie im Italienischen ein k für ch. Diese pseudo-mittelhochdeutsche Sprache, die der Leser ohne allzu große Mühe verstehen kann (und die den gleichen burlesken Effekt hat wie das Pseudo-Barockdeutsch, das ich schon beim Übersetzen der Reden von Pater Casper Wanderdrossel probiert hatte), erlaubte mir dann, mehr oder weniger treu wiederzugeben, was im ersten Kapitel von Baudolino steht. Die Wahl des barocken Modells schien mir auch dadurch gerechtfertigt, daß sowohl die Erlebnisse, die der junge Baudolino erzählt, wie auch seine Art des Erzählens nicht unähnlich denen des jungen Simplicissimus bei Grimmelshausen sind, im bekanntesten und berühmtesten Schelmenroman der deutschen Literatur.

Allerdings muß ich gestehen: mit diesem Kompromiß habe ich den mittelalterlichen Baudolino, der im 12. Jahrhundert zur Zeit Kaiser Friedrichs I. Barbarossa lebte, um 500 Jahre jünger gemacht, indem ich ihn so sprechen ließ, wie man bei uns im 17. Jahrhundert sprach. Aber das ist einer der Preise, die man bezahlen muß, wenn man Autoren wie Umberto Eco übersetzen will.

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Einen Punkt möchte ich bei dieser Gelegenheit noch kurz ansprechen, speziell für gewisse Literaturpäpste und -historiker, aber auch für die Salonlöwen des Literaturbetriebs. Heute ist es vielleicht nicht mehr ganz so ausgeprägt, aber in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gehörte es in gewissen Kreisen zum "guten Ton", die Romane von Umberto Eco, angefangen mit dem Namen der Rose, als klassische Fälle, ja geradezu Paradebeispiele für raffiniert kalkulierte und am Reißbrett entworfene "Weltbestseller" zu erachten. Nicht nur in Feuilletons und im Partygerede des Literaturbetriebs, sondern auch im hochseriös-akademischen Rahmen - z.B. in der aufwendigen Italienischen Literaturgeschichte von Kapp und anderen, 1994 bei Metzler in Stuttgart erschienen - stieß und stößt man immer wieder auf Bemerkungen, die Ecos Romane wie selbstverständlich als "Bestseller nach Maß" abqualifizieren, oft mit Verweis auf einen "in Europa bisher unbekannten Werberummel", der den Erfolg gemacht habe, ohne daß dafür irgendwelche Belege angeführt werden.

Ich halte solche Behauptungen, um es hier ganz klar zu sagen - und das habe ich auch schon vor Jahren in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung geschrieben -, für reines Gefasel, das nur von blanker Ahnungslosigkeit zeugt. Eco selbst hat auf den Vorwurf der geplanten Bestsellerei, der auch in Italien schon gegen seinen ersten Roman erhoben wurde, folgende Antwort gegeben: Jawohl, ich hatte mir vorgenommen, einen Weltbestseller zu schreiben, und da sagte ich mir: Es muß eine Geschichte in einem Kloster sein, mit vielen Mönchen, einem Haufen Theologie und scholastischer Philosophie, kaum Frauen, kaum Sex, dafür viel Latein: Das ist das Erfolgsrezept! Jetzt habt ihr mich entlarvt...

Als sein langjähriger Übersetzer oder "Komplize", wie ich auch schon genannt worden bin, kann ich dazu folgendes ergänzen: Nicht nur was Eco erzählt, sondern auch wie er das tut, welche Sprache er dazu benutzt, zeigt und beweist für jeden, der lesen kann, unübersehbar deutlich, daß gerade bei diesem Autor das Gerede vom "geplanten Bestseller" ein ausgemachter Unsinn ist, der nur eine tiefsitzende, wahrscheinlich von Neidgefühlen genährte, jedenfalls genußvoll gepflegte Voreingenommenheit verrät.

Ecos Erstling, Der Name der Rose, war ein Riesenerfolg auf der ganzen Welt, aber überall außerhalb Italiens ein vollkommen überraschender Riesenerfolg, den keiner vorausgesehen hatte und über dessen Gründe sich alle den Kopf zerbrachen. Niemand hatte mit mehr als fünfzehn- bis zwanzigtausend Käufern im ganzen Land gerechnet, ein prominenter und sehr erfahrener Gutachter hatte dem Hanser Verlag die Prognose gestellt: es handle sich um ein Buch für die Intellektuellen, und davon gebe es erfahrungsgemäß hierzulande ungefähr zehn- bis fünfzehntausend. Bis heute sind im deutschen Sprachraum allein von der Hardcover-Ausgabe rund eine Million Exemplare verkauft worden, dazu noch einmal annähernd das Doppelte im Taschenbuch. Die Erklärung, das Ganze sei auf eiskalt-raffiniertes Kalkül des Autors plus entsprechenden Medienrummel zurückzuführen, ist so ungefähr die dümmste, die man finden kann - vielleicht ist sie deswegen so beliebt.

Aber es gibt noch mehr Argumente dagegen, nicht nur solche der elementaren Logik, sondern auch strukturelle. Schaut man sich z.B. die Insel des vorigen Tages im Original an, so spricht schon die Fülle der seltenen Wörter gegen die These, der Autor habe beim Schreiben an ein Massenpublikum gedacht: Niemals würde jemand, der für den internationalen Bestsellermarkt schreiben will, derart viele ausgefallene, auch für Italiener fremdartige, in keinem normalen Wörterbuch aufzufindende, ja bisweilen geradezu "private" Vokabeln benutzen, ohne jede Rücksicht auf ihre Übersetzbarkeit in die führenden Weltsprachen. Aber damit nicht genug, viel beweiskräftiger als die Semantik ist in diesem Zusammenhang ein grammatikalisch-stilistisches Element, das dem Autor selbst offenbar gar nicht so recht bewußt geworden ist (zumindest hat er darüber nie von sich aus mit seinen Übersetzern gesprochen - und das spricht bei einem Autor wie Eco Bände), nämlich sein Umgang mit den Erzähltempora.

Große Teile des Romans werden nicht etwa im traditionellen italienischen Erzähltempus (dem passato remoto) und auch nicht im heute allgemein üblichen Perfekt erzählt, sondern, wie auch schon stellenweise im Foucaultschen Pendel, im Plusquamperfekt ("er hatte gesagt..., ihm war bewußt geworden..., er hatte gesehen, als er aus der Tür getreten war..."). Das aber läßt sich im Deutschen nur ausnahmsweise und jedenfalls nicht über längere Strecken nachbilden, da sonst der Leser entnervt zu lesen aufhören würde, ohne zu wissen, was ihn da eigentlich so genervt hat (denn bitte: wer achtet schon auf so etwas Philologisch-Technisches wie den Tempusgebrauch und die consecutio temporum?). Auch hierfür gilt freilich das alte Dilemma des Übersetzerwesens: Darlegen läßt sich die Problematik nur vor Lesern, die über mehr als bloß elementare Kenntnisse der "Ausgangssprache" verfügen. Darum sei hier nur soviel gesagt: Im heutigen Italienischen funktioniert der Tempuswechsel beim Erzählen ähnlich wie der Zoom im Film: Ein Sprung vom Perfekt ins Plusquamperfekt rückt das Geschehen in größere Ferne, ein Sprung ins Präsens holt es nahe heran, ein Erzählen im Imperfekt läßt es zeitlich im ungewissen verschwimmen, ein Erzählen im Wechsel von passato remoto und Imperfekt hebt es auf eine klassisch-literarische Ebene. Mit anderen Worten, einem Erzähler wie Eco stehen vier verschiedene Erzähltempora zur Verfügung, und er benutzt sie alle vier mit großer Virtuosität, ohne sich im geringsten darum zu kümmern, wie sein fein nuanciertes Tempusgeflecht wohl in anderen Sprachen aussehen könnte.

Geht so jemand vor, der einen internationalen Bestseller plant? Müßte er nicht vor allem darauf bedacht sein, etwas zu fabrizieren, was sich möglichst ohne Verluste ins Englische übersetzen läßt? Gerade das aber hat Eco nicht getan, im Englischen muß sein subtiler Umgang mit den vier Tempora notgedrungen auf das past tense reduziert werden, und auch im Deutschen habe ich mich gezwungen gesehen, die meisten im Plusquamperfekt erzählten Passagen ins Präteritum zu setzen; nur ab und zu, am Anfang und am Ende einzelner Kapitel und vor allem am Anfang und am Ende des Romans, habe ich das Plusquamperfekt übernommen, um so etwas wie einen Auf- und Abblende-Effekt zu erzielen (ich wette, daß es kaum jemand merkt, solange er nicht mit der Nase darauf gestoßen wird).

Geplante Bestseller? Wer das sagt, beweist damit nur, daß er nicht lesen kann, und das Wort "eiskalt" paßt schon gar nicht auf Ecos Romane - auch wenn er sie immer sorgfältig konstruiert und vielleicht manchmal zu reich belädt (aber daß der Leser sich gelegentlich etwas erschöpft fühlt, soll auch bei Thomas Mann vorkommen).

Jedenfalls an die Übersetzbarkeit - also an den Markt - hat er beim Schreiben überhaupt nicht gedacht. Das läßt sich, behaupte ich, an den Texten beweisen, und wer das Gegenteil behauptet, soll es auf dieser Ebene belegen, nicht bloß insinuieren. Eco hat gerade nicht mit der Wurst nach der Speckseite geworfen, ganz im Gegenteil, er hat die Erwartungen derer, die sich eine Fortsetzung oder Wiederholung seines "Mittelalterkrimis" wünschten, bewußt enttäuscht und geschrieben, was ihm wichtig war. Und dabei hat er manchmal sogar Dinge in seine Romane hineingeschrieben, die außer ihm selbst und ein paar engen Freunden und/oder Kollegen niemand richtig verstehen kann, auch nicht in Italien (zum Beispiel die Kapitelüberschriften in der Insel des vorigen Tages, die eine ganz eigene, fast geheime Geschichte erzählen). Und dann hat er, wenn der neue Roman fertig war (und nicht vorher, wie manche behauptet haben), die dringlich geäußerten Wünsche der Medien befriedigt und zum Erscheinen des Buches ein paar Tage lang Interviews gegeben (selbstverständlich "im Stundentakt", wie denn sonst, wenn alle Schlange stehen). Den von gewissen Medienleuten immer so laut beklagten Medienrummel haben die Medien selbst gemacht.

Als sein Übersetzer kann ich dazu nur sagen: Oh, wenn sie wüßten, wie oft ich darunter gelitten habe, daß mein Autor so gar keine Rücksicht auf seine Übersetzer nimmt, von Buch zu Buch immer weniger, und wie oft ich mir innerlich stoßseufzend wünschte: Hätte er doch bloß ein bißchen mehr an den internationalen Markt gedacht!

 

© Burkhart Kroeber, 2003. Nachdruck, auch teilweise, nur mit Genehmigung des Autors.