EcoOnline Logo Das Foucaultsche Pendel
 
Das Foucaultsche Pendel ist nicht nur ein erstklassiger und spannender Roman, vielleicht Ecos bester, er ist auch ein raffinierter Text, der ein Genre begründet hat, das den Dan Browns unserer Zeit inzwischen Millionenauflagen beschert. Verschwörungstheorien sind en vogue, und kaum jemand weiß heute, dass es Ecos zweiter Roman von 1988 ist, der hier die Vorlage darstellt.

Der Plot rankt sich um eine mysteriöse Geheimbotschaft, der eine okkulte Bedeutung abgetrotzt wird, die sie – eigentlich eine simple Wäscheliste ohne Hintersinn - gar nicht besitzt. Casaubon, der Ich-Erzähler des Romans, macht als Mitarbeiter eines Verlags die Bekanntschaft der Lektoren Belbo und Diotallevi. 

Alle drei teilen nicht nur eine Leidenschaft für absurde Wissenschaftssysteme, sondern auch für die Geschichte des Templerordens, mit der sie verlegerisch befasst sind. Der scheinbar seriöse Verlag nämlich betreut im Nebenhaus auch sogenannte AEKs – Autoren auf eigene Kosten. Diese liefern literarisch wertlose Texte, die sich zumeist mit Verschwörungstheorien rund um die Geschichte der Templer, eine okkulte Sekte, befassen. Aber egal, denn immerhin bezahlen sie ihre Publikationen selbst und werden dabei vom Verlag gnadenlos über den Tisch gezogen. Wer immer mit dem Verlagswesen zu tun hat, wird lachen müssen angesichts der dargestellten Geschäftspraktiken: Die vom Autor allein finanzierten Bücher werden mangels Vertriebskonzepts und echtem Interesse einfach eingemottet und nach gegebener Zeit zu "Sonderpreisen" an die Autoren verkauft – mit dem Hinweis, man müsse das Lager räumen und die nicht verkauften Exemplare müssten nun, was natürlich sehr schade wäre, leider entsorgt werden.

Damit das Geschäft noch mehr prosperiert, erfinden die drei Verlagsmitarbeiter nicht nur Buchreihen und Verfahren, mystische Texte mittels eines Computerprogramms zu generieren, sondern arbeiten auch aktiv an der Entschlüsselung des Geheimnisses des mysteriösen Templerordens – natürlich die Weltherrschaft zu erlangen und den heiligen Gral zu finden. Dabei fälschen sie Fakten und stellen Zusammenhänge her, die gar nicht existieren. Durch den Templerexperten Agliè, der als Sachverständiger zur Prüfung der zahllosen eingehenden Manuskripte engagiert wird, bekommt diese verfälschte bzw. erlogene Verschwörungstheorie nun allerdings eine reale Wendung. Die Menschen, die an solche absurden Verquickungen glauben, gibt es wirklich, und plötzlich sind Casaubon, Belbo und Diotallevi ernsthaft in Gefahr. Was als Spaß, Spinnerei und Gelddruckmaschine begann, wird zum blutigen Ernst spätestens dann, als Diotallevi verschwindet und Belbo im Pariser Museum für Natur und Technik am Foucaultschen Pendel zu Tode gefoltert wird.

Dass Casaubon am Ende als einziger Beteiligter nicht mehr an eine Tempelritter-Verschwörung glaubt, weil seine Freundin Lia ihm ganz pragmatisch demonstriert, wieso es sich bei der im Zentrum des Geschehens stehenden vorgeblichen Geheimbotschaft um eines simple Kaufmannsliste handelt, ist jetzt belanglos geworden. Der durch kabbalistische Interpretation der Protagonisten erst erzeugte Sinn der Botschaft hat sich bereits verselbständigt.

Man muss Ecos Roman vor dem Hintergrund der Mitte der 80er Jahre prosperierenden Diskussionen um das methodische Instrumentarium der Geisteswissenschaften betrachten. Scharfe Seitenhiebe des Semiotikers und Texttheoretikers Eco galten damals vor allem der Dekonstruktion, allen voran Derrida, da es diesem Verfahren nicht um eine textgetreue Interpretation ging, sondern um da freie Flotieren von Zeichen. „Überinterpretation“ nennt Eco dieses Verfahren, bei dem es nicht auf die Auslegung des Wortsinns ankommt, sondern darauf, einem Text eine neue Bedeutung zu verleihen. Texte werden also nicht interpretiert, sondern einfachhin "gebraucht". Dies eben wird in Das Foucaultsche Pendel literarisch inszeniert.

Was Eco übrigens von Sakrileg-Autor Dan Brown hält, kann man in einem Zeitungsbericht aus der > Netzeitung vom 20.5.2006 nachlesen: "Dieser sei ein 'Intrigant, der falsche Nachrichten verbreitet und sich mit Abfallmaterial bereichert', sagte der 74-Jährige. Eine Einladung der toskanischen Gemeinde Vinci zu einem Zusammentreffen mit Brown lehnte Eco ... ab. 'Das kommt überhaupt nicht in Frage. Ich werde zu einer anderen Gelegenheit nach Vinci fahren, wenn sich dort ein echter Schriftsteller aufhält' ...".

Helge Schalk